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Hessen fördert Kinder und Jugendliche mit Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen besser

Verordnung und Erlass treten zum neuen Schuljahr in Kraft 30.05.2006
Kinder und Jugendliche mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen sollen an hessischen Schulen besser gefördert werden. Grundlage dafür sind die neue „Verordnung über die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen“ sowie der „Erlass zum Nachteilsausgleich für Schülerinnen und Schüler mit Funktionsbeeinträchtigungen, Behinderungen oder für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen“, die zum Schuljahr 2006/07 in Kraft treten.

Der Neuregelung vorausgegangen war eine Initiative der Hessischen Kultusministerin Karin Wolff zur Reform der bundesweit geltenden Empfehlungen von 1978, die im Dezember 2003 von der Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossen worden ist. Die neue hessische Verordnung hebt eine Regelung aus dem Jahr 1985 auf. „Förderung und Nachteilsausgleich stehen jetzt vor Notenschutz“, verdeutlicht Karin Wolff die neue Verordnung für Schülerinnen und Schüler mit Lese- , Rechtschreib- oder Rechenschwierigkeiten auf Basis der KMK-Grundsätze. Diagnostische Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer für wirksame Förderung werden in den Mittelpunkt gestellt. Bei Kindern und Jugendlichen mit entsprechenden Schwierigkeiten soll künftig in allen Schulen ein individueller Förderplan erstellt werden. Die für den Schriftspracherwerb erforderlichen Kompetenzen werden auch bei der Lehreraus- und Weiterbildung vermittelt.
In den 2003 neu gefassten Grundsätzen hatten die Länder für den besonderen Umgang mit Schwierigkeiten beim Rechnen keinen Konsens erzielen können. „Hessen wird diese Chance nutzen“, hatte Karin Wolff damals angekündigt, dass mit der Veränderung der bestehenden Verordnung für die Grundschule auch eine Neuregelung zur Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen geplant sei. Ergebnis einer Expertenanhörung vor den KMK-Empfehlungen von 2003 zu Schwierigkeiten beim Rechnen war unter anderem die Möglichkeit eines zeitweisen Aussetzens von Mathematik-Noten in der Grundschule. Dies wird nun mit der neuen Verordnung in Hessen möglich.
Zahlreiche Eltern hatten noch während des Anhörungsverfahrens für den Umgang mit Schwierigkeiten beim Rechnen eine Regelung analog zum Lesen und Rechtschreiben bis Ende der Sekundarstufe I gefordert. Das sei jedoch schon deshalb nicht möglich, so Staatssekretär Joachim Jacobi bei der Abschlussrunde des Landeselternbeirates am 6. Mai 2006, weil dann Zeugnisse nicht mehr vergleichbar wären.
Schülerinnen und Schüler mit besonderen oder lang anhaltenden Schwierigkeiten unterlagen bislang den generellen Maßstäben der Leistungsbewertung. Nach den KMK-Grundsätzen von 2003 war in Einzelfällen ein Notenausgleich auch in Abschlussprüfungen und Abschlussklassen möglich geworden. Individueller Förderung und Nachteilsausgleich Vorrang vor Notenschutz einzuräumen, ist jetzt auch in die hessische Neuregelung aufgenommen worden. „Notenschutz ist die ultima ratio, wenn bei besonders problematischen Einzelfällen andere Hilfestelllungen nicht greifen“, so die Hessische Kultusministerin. Der Notenschutz müsse im Zeugnis vermerkt werden. Eine Teilnote könne im Einzelfall auch in Abgangs- und Abschlusszeugnissen ausgesetzt werden – allerdings nur, sofern eine mehrjährige schulische Förderung unmittelbar vorausgegangen ist. Vor allem sehen die neuen Grundsätze erstmalig einen Nachteilsausgleich vor, der Schülerinnen und Schülern mehr Arbeitszeit und/oder Unterstützung mit technischen beziehungsweise didaktischen Hilfsmitteln einräumt. Hessen hat einen solchen Nachteilsausgleich bereits 1995 erlassen, ihn damals jedoch auf Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen bei Prüfungen beschränkt.
Eine 2001 eingesetzte KMK-Arbeitsgruppe hatte knapp 20 Wissenschaftler befragt. Deren Erkenntnisse sind in die neuen Empfehlungen aufgenommen worden. Alle betonen die herausragende Bedeutung der jeweiligen Unterrichtskonzeption hinsichtlich sehr unterschiedlicher Zugangsweisen von Kindern zur Schriftsprache – vor allem bei Sprachschwierigkeiten oder Zweisprachigkeit. Dies erfordere einen „sehr differenzierten Unterricht, der die individuelle Lernausgangslage der einzelnen Schüler und Schülerinnen berücksichtigt, ihnen ausreichend Zeit lässt und ihre jeweiligen Lernergebnisse gründlich absichert“. Gerade im Anfangsunterricht in der Grundschule sei diese Vorgehensweise eine der entscheidenden Grundlagen für den erfolgreichen Erwerb der Fähigkeit zum Lesen und Rechtschreiben.
„Viele Schulen haben im Hinblick auf die anstehenden Veränderungen bereits ihre Schulprogramme um den Schwerpunkt Schriftspracherwerb und Umgang mit Schwierigkeiten beim Rechnen konzeptionell erweitert“, so Karin Wolff. Einige Lehrerinnen und Lehrer in den vor vier Jahren eingerichteten Modellregionen „Lesen, Schreiben und Rechnen für alle“ haben schon während der Sommerferien ein besonderes Vorbereitungsangebot für ihren Einsatz im Anfangsunterricht wahrgenommen. Außerdem haben die Staatlichen Schulämter mit den Schulen besondere Konzepte zum Umsetzen des strategischen Ziels verbesserter Lesekompetenz entwickelt, die sich auf den Schriftspracherwerb auswirken werden. Eine Kultur individueller Förderung hat mit der Förderplanarbeit in hessischen Schulen Einzug gehalten. Zahlreiche Schulämter haben dafür auch ihre Kooperation mit den Jugendämtern ausgebaut. Zum Netzwerk des Entwickelns individueller Förderkompetenzen zählen ferner die sonderpädagogischen Beratungs- und Förderzentren mit präventivem Auftrag.
Hessens Kultusministerin lobt die Schulen auf dem Weg zum Ausbau individueller Förderung und konzeptioneller Weiterentwicklung für mehr Unterrichtsqualität: „Die neue hessische Verordnung und der bundesweite Konsens, Kinder und Jugendliche mit Lese-, Rechtschreib- und Rechenschwierigkeiten ernst zu nehmen, bietet dafür eine wertvolle Grundlage.“
Quelle Bildungsklick